Können neurodiverse Eigenschaften problematisches Spielverhalten begünstigen?
Der Einfluss von neurodiversen Eigenschaften auf die Entstehung von Glücksspielabhängigkeit ist bislang nur unzureichend wissenschaftlich untersucht worden. Trotz einzelner Studien und persönlicher Erfahrungsberichte fehlt es an einer systematischen Analyse der komplexen Zusammenhänge.
Neurodiversität: Vielfalt statt Defizit
Experten gehen jedoch davon aus, dass neurodiverse Menschen aufgrund spezifischer kognitiver und emotionaler Merkmale anfälliger für problematisches Glücksspiel sein könnten. Diese Vermutung stützt sich auf Beobachtungen aus der klinischen Praxis und ersten statistischen Erhebungen.
Der Begriff Neurodiversität beschreibt eine natürliche Bandbreite neurologischer Unterschiede, die sich in der Art und Weise äußern, wie Informationen verarbeitet, Reize wahrgenommen und Emotionen reguliert werden.
Zu den häufigsten neurodiversen Erscheinungsformen zählen Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus-Spektrum-Störung (ASS), Legasthenie und Dyspraxie.
Statt diese Unterschiede als Defizite oder Störungen zu betrachten, wird Neurodiversität zunehmend als wertvolle Vielfalt anerkannt. Menschen mit ADHS zeigen oft eine hohe Kreativität und Innovationskraft, während Personen im Autismus-Spektrum durch außergewöhnliche Detailgenauigkeit und analytische Fähigkeiten hervorstechen.
Individuelle Erfahrungen: Chris Gilham und seine Geschichte
Chris Gilham, ein Vertreter von Gambling Harm UK, sprach während eines Webinars von GLEN offen über seine Erfahrungen mit Spielsucht. Im Alter von 30 Jahren entwickelte er eine ausgeprägte Glücksspielabhängigkeit, die seine Alkoholproblematik zusätzlich verschärfte. Überraschend war für Gilham, dass er zuvor keinerlei Interesse am Glücksspiel gezeigt hatte.
Nach Jahren intensiver Therapie wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Zudem stellte sich heraus, dass er eine besondere Sensibilität gegenüber emotionaler Ablehnung aufwies.
Das Glücksspiel bot ihm eine scheinbare Möglichkeit, emotionale Spannungen und inneren Stress zu regulieren. Diese kurzfristige Entlastung führte jedoch langfristig zu erheblichen persönlichen und finanziellen Schäden.
Statistische Beobachtungen und ihre Fallstricke
Einzelne Studien zeigen, dass etwa ein Viertel bis ein Drittel der Menschen, die wegen Spielsucht behandelt werden, auch ADHS haben. Diese Zahl ist bemerkenswert, muss jedoch mit Vorsicht betrachtet werden.
Es bleibt unklar, ob ADHS tatsächlich ein Risikofaktor für Glücksspielabhängigkeit ist oder ob diese hohe Rate schlicht die Häufigkeit von ADHS in psychotherapeutischen Behandlungen widerspiegelt.
Darüber hinaus fehlen differenzierte Analysen, die zwischen verschiedenen neurodiversen Subgruppen unterscheiden. Die Auslöser und Mechanismen für Glücksspielprobleme könnten bei Menschen mit Autismus völlig anders gelagert sein als bei Menschen mit ADHS.
Psychologische Mechanismen hinter Glücksspiel bei Neurodiversität
Für viele neurodiverse Menschen bietet Glücksspiel eine kurzfristige Flucht aus mentaler Überlastung. Die wiederholten Belohnungsmechanismen und die klare Struktur des Spiels können beruhigend wirken.
Insbesondere bei Menschen mit ADHS spielt das Dopamin-Belohnungssystem eine entscheidende Rolle, wodurch Glücksspiel als besonders ansprechend wahrgenommen werden kann.
Forschungslücken und Handlungsempfehlungen
Dr. Amy Sweet von der Universität Bristol hebt hervor, dass es an langfristigen Studien zur Verbindung von Autismus und Glücksspiel fehlt. Während ADHS bereits punktuell untersucht wurde, bleiben viele Fragen offen.
Auch Dr. Alan Curley von der University of West of Scotland betont die Bedeutung von Langzeitstudien, um präzise Aussagen treffen zu können. Gezielte Schulungsprogramme für Glücksspielanbieter könnten dazu beitragen, neurodiverse Bedürfnisse besser zu verstehen und Frühwarnzeichen zu erkennen.
Eine verstärkte Sensibilisierung könnte zudem dazu beitragen, stigmatisierende Kommunikationsstrategien zu vermeiden und einen inklusiveren Ansatz in der Prävention von Spielsucht zu fördern.
Quelle: Gambling Harm UK